· 

It's okay (Studienabbruch)

Bild von Gerd Altmann
Bild von Gerd Altmann

Studienabbruch. Das Thema, was einen sehr großen Raum in meinem Leben einnimmt. Das Thema, was mich am Anfang dieses Jahrs in ein sehr großes und tiefes Loch gedrängt hat. Die Problematik, die viele Studenten kennen.

 

Die Rechtswissenschaft ist dabei wohl „eine Sache für sich“, wie meine Familie schon seit Semester Eins zu sagen pflegte.

 

Der Anfang meines Studiums und die ersten beiden Semester waren Euphorie pur. Zwischenzeitlich gab es aber schon im Ersten oftmals Momente, in denen es mir nicht gut ging, ich überstresst war und nicht wusste, wo mir der Kopf stand. „Normal, bei so einem Studienfach“, würden jetzt viele sagen und dabei wären 80% der Menschen die typischen Zweiti-Juristen. Ich aber sage „Nein, das ist es nicht!“.

 

Es ist nicht normal, dass Stress einen Menschen derbe verändert und zu einem zunehmend ernsten und misanthropisch-isolierten Menschen macht. Es ist auch nicht normal, dass der Stress überhandnimmt und man für minimalen Erfolg die Hälfte des Tages lernt. Es ist nicht normal, dass ein Studiengang von Jahrzehnten alten Vorlagen lebt. Es ist nicht normal, dass Klausuren ohne Bewertungsmaßstab von subjektiven Korrektoren gelesen werden können und dabei Bewertungslücken von 3 bis 14 Punkte entstehen. Es ist nicht normal, dass von 18 Punkten Bewertungsskala der Durchschnitt bei 3,8 Punkten liegt. Es ist nicht normal, dass in einer Strafrechtsvorlesung Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung belustigt und vom Professor selbst verhöhnt werden. Es ist nicht normal, dass männliche Jura-Absolventen mindestens vier Punkte besser abschließen als weibliche und dass gleiche Leistung in der mündlichen Examensprüfung aufgrund von Geschlechtern ungleich bewertet wird. Es ist nicht okay, dass man modernste Fälle mit alt-eingesessenen Grundlagen richten darf. All das ist nicht okay. All das gehört zu der Tatsache, weshalb ich das Studium im Sommer beenden werde.

Jura ist nicht „zu schwer“ und Jura ist auch nicht „zu trocken“. Aber ich habe in dieser Zeit gelernt, dass Recht nicht immer gerecht ist. Und ich habe auch gemerkt, dass meine moralische Einstellung und mein Sinn für Gerechtigkeit mit diesem Beruf nicht vereinbar sind; dass ich vieles nicht so durchsetzen könnte, wie es geschrieben steht. Ich möchte weder in der Position sein, Menschen für ihr getragenes Leid keinen Gerechtigkeitssinn geben zu können und ich möchte noch viel weniger in der Position sein, Menschen für ihre Taten ganz subjektiv ungerechtfertigt verteidigen zu müssen. Das bin nicht ich. Und vor allem bin ich kein Mensch, der sich so behandeln lässt. Weder von Vorgesetzten noch von Professoren oder Kommilitonen. 

So viel erst einmal zu der Thematik, weshalb ich mein Studium guten Gewissens beenden werde. Jetzt aber zu den deutlich unangenehmeren, damit verbundenen Themen.

 

Alles beginnt damit, dass man anfängt zu realisieren. Man fängt an zu bemerken, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Vor allem mit einem selbst. Entweder dadurch, dass man selbst so gut reflektiert und sieht, wie man sich verändert oder aber durch Gespräche, die es einem aufzeigen. Beides war auch bei mir der Fall.

 

Nach der Realisierung der Tatsache, dass Jura vielleicht doch nicht so das Beste ist, was ich für mich möchte, kommt die Zeit der Entscheidungen. Und das muss man oftmals recht schnell tun, denn auch zwei-drei Wochen Pause könnten ein mögliches Fortsetzen des Studiums erschweren. Immerhin schreibt man Klausuren, muss lernen und am Ball bleiben. Diese Zeit war für mich persönlich die Schlimmste. Ich war einerseits der Meinung, noch nie so frei zu sein mit der Entscheidung, das Studium zu beenden und andererseits ging es mir wahnsinnig schlecht. In dieser Zeit habe ich an allem gezweifelt, was mich selbst betraf. Ich habe mich schlecht gefühlt und ich habe mich schlecht gemacht. Und das 24/7.

 

Nach dieser Zeit kam dann irgendwann der Moment, in dem ich diesen Zwiespalt und die damit verbundenen Selbstzweifel nicht mehr allein tragen konnte. Ich bin zu einer Beratungsstelle meiner Universität gegangen und habe dort mit einer sehr kompetenten und einfühlsamen Frau gesprochen. Diese hat mich zwar nicht stark beeinflusst in meiner Meinung, mir jedoch aufgezeigt, dass die eigentliche Problematik meiner bösartigen Stimme noch viel tiefer liegt als mir das Studium am Herzen lag. Dieses Gespräch hat mich zwar in ein noch größeres Loch geworfen, jedoch konnte ich seit dem Zeitpunkt besser mit meiner Entscheidung leben. Alles andere, was aus diesem Gespräch hervorging sind Dinge, um die ich mich jetzt kümmere. Und für die ich jetzt vor allem endlich Zeit finde.

 

Nach dieser Art der differenzierten Wahrnehmung kommt wahrscheinlich eine Mischung aus Akzeptanz, Toleranz und vor allem Reflektion. Ich habe in der letzten Zeit vermehrt wahrgenommen, wie ich mich verändert habe durch das Studium. Einfach, weil jetzt die Zeit dafür da ist und ich merken kann, was eigentlich mit mir passiert ist. Auch muss ich sagen, dass ich jetzt momentan merke, dass mein sehr versteifter und penibel-verbissener Jura-Blick auf die Welt wieder weicher wird. Und das allein ist schon viel Wert.

 

Natürlich habe ich auch noch immer damit zu kämpfen, dass diese böse Stimme in meinem Kopf in Momenten verrücktspielt und ich in diesen Momenten auch immer noch zweifele. Jedoch kann ich genauso gutsagen, dass es guttut, etwas anderes zu suchen. Sich auf andere Interessen einzulassen, die ein wenig offener, ein bisschen weniger alt-hierarchisch und vor allem kreativer und flexibler sind.

Und genau das fühlt sich grade okay an, würde ich sagen.

 

Was ich mit diesen Worten sagen möchte ist, dass es okay ist, sich mal zu verlieren. Es ist auch okay, manche angefangenen Dinge nicht durchziehen zu wollen. Das ist okay und das ist menschlich. Denn vieles lernt man erst dadurch kennen, dass man es ausprobiert. Also lasst den Kopf nicht hängen. Nicht in solchen Momenten. Dafür seid ihr zu schade.

 

Ich hoffe, ich konnte ein wenig Licht ins Dunkle bringen. Und ich wünsche euch natürlich eine tolle Zeit,

eure Phéa