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Mobbing und seine Folgen

Photo by Sasha Freemind on Unsplash
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Durch den gegebenen Anlass möchte ich heute über ein Thema schreiben, was mir persönlich sehr nah am Herzen liegt.

 

Vor einigen Tagen gab es die Meldung, dass sich ein elfjähriges Mädchen im Herzen Berlins das Leben nehmen wollte und daran verstarb. Der Grund für ihren Suizidversuch war Mobbing. Laut Berichten sowohl von Gleichaltrigen als auch von Erwachsenen. Den Berichten zufolge versucht die Schule sich den Vorwürfen zu entledigen.

 

Aufmerksam auf diese Berichte wurde ich durch Nachrichtenanzeigen und durch Carsten Stahl.

 

 

Ich muss sagen, dass es mir (anders als bei anderen Themen) schwerfällt, bei diesem Thema objektiv und neutral zu bleiben. Sowas macht mich betroffen. Sowas macht mich traurig. Sowas erschüttert mich zutiefst. Nicht, weil solche Dinge die Gesellschaft als Kollektiv kritisiert und die menschlich-psychischen Abgründe mehr als sonst aufzeigt, sondern vielmehr, da diese Dinge Erinnerungen wecken und auch ich davon betroffen und vor allem getroffen bin.

 

Viele Menschen sagen, dass es „nichts Neues“ ist, in der heutigen Generation an Mobbing zu leiden und dass es ein „Merkmal der Masse“ ist. Natürlich wurden Menschen schon immer gepiesackt und ausgeschlossen. Aber seit wann darf es als „normal“ oder als „Generationsmerkmal“ gesehen werden, dass Kinder und Jugendliche so exzessiv gemobbt werden, dass sie sich umbringen (wollen)?

 

Das Fragwürdige daran ist die Schizophrenie der Sache: Die Gesellschaft sagt, es sei ein Merkmal der Generationen. Die Gesellschaft sagt aber auch, dass sowas nicht sein darf. Und dann schweigt die Gesellschaft tot. Sie klärt nicht auf. Sie macht nichts besser. Allen voran leider (und ich sage bewusst ‚leider‘, weil es traurig ist) Menschen, die wahnsinnig viel Einfluss besitzen. Einfluss auf die Jugend, auf die Kinder, auf junge Erwachsene. Und diese Menschen sind still, äußern sich nicht. Dass Politikern nicht zugehört wird ist kein Wunder, weil die Mehrheit der Gesellschaft entweder kein Gehör dafür besitzt und danach so oder so alles abtut oder aber, weil die Politiker nichts sagen und dieses Thema abtun.

 

Und genau das Beschriebene ist im aktuellen Fall passiert. Auch in diesem Fall schieben die Verantwortlichen jegliche Schuld von sich. Auch in diesem Fall wird versucht zu vertuschen. Das kennt man bereits von vorigen Fällen. Das ist „Normalität“.
Die Frage, die für viele Betroffene dann folgt: Darf sowas sein? Nein.

 

Photo by Kat J on Unsplash
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Leider bleiben einige Fragen immer wieder offen: Warum wurde gemobbt? Was ist passiert? Warum musste sowas passieren? Was dachten die Täter- oder dachten die Täter überhaupt Irgendetwas?

 

Gründe für Mobbing zu nennen finde ich immer wieder sehr schwierig. Zumal diese immer sehr individuell sind. Jedoch gibt es gewisse Charakterzüge, Verhaltensweisen, Eigenschaften oder aber auch die Optik, die in solchen Konflikten immer genannt werden:

 

Grundsätzlich fängt es damit an, dass sich ein Kind/Jugendlicher anders verhält als die Masse. Das diese Person anders denkt, anders spricht und anders handelt. Dass „anders“ in einem solchen Kontext aber nicht gegen die Norm schlägt oder tatsächlich „abnormal“ ist, ist dabei nicht relevant. Relevant ist, dass die- oder derjenige immer anders ist. Wenn sowas (vor allem in Klassen) von Mitschülern (oder eben in ähnlichen Konstellationen) auffällig wird, ist diese Person automatisch ein Bezugspunkt für mindestens einen Menschen. Oftmals sind es diejenigen, die sich selbst profilieren möchten. Diejenigen, die anderen zeigen wollen, was sie alles können. Dabei ist es egal, was der/die Betroffene fühlt. Die Hauptsache ist, man kann zeigen „was man draufhat“.

 

Nachdem diese erste „Andersheit“ festgestellt wurde, wird analysiert. Jede Kleinigkeit, die dieser Mensch tut oder sagt, wird unter die Lupe genommen und auseinandergepflückt. Die Täter nehmen sich Aussagen oder Verhaltensweisen, drehen diese um und schießen gegen die Betroffenen.

 

Nach solchen anfänglichen Auseinandersetzungen bilden sich um den einzelnen Täter meist Grüppchen, die sich gut aufteilen lassen. Es gibt diejenigen die mitmachen und diejenigen, die zuschauen. Aufzuteilen ist dies schwierig, da diese Grüppchen immer ineinander übergehen, sie tauschen lediglich die Rollen. Sehr, sehr selten hingegen gibt es Grüppchen, die einen „andersartigen Menschen“ verteidigen, ihm beistehen. Viel zu selten passiert das, weil diese Personen zu viel Angst besitzen, ebenfalls ein Mobbingopfer zu werden. Dass ein Kollektiv stärker ist als ein einzelner Mensch ist dabei irrelevant oder unerkennbar für sie.

 

Nach dieser Grüppchenbildung beginnt meistens ein Teufelskreis. Der/die Betroffene wird gemobbt. Das Mobbing endet nie. Auch nicht, wenn sie Schulschluss (o.Ä.) haben. Grund dafür sind die Möglichkeiten von sozialen Netzwerken. Cybermobbing nimmt rapide zu, dafür braucht man keine Statistiken.

Soziale Netzwerke, diverse Messenger und ihre kleinen, abtrünnigen Gesellschaften sind bei Cybermobbing nur wenig hilfreich. Auch dafür braucht man keine Statistiken, denn sowohl bei Facebook als auch bei Instagram, Tumblr, Twitter, WhatsApp und Co. finden sich die Verantwortlichen, die diese Dienste bereitstellen, nur wenig verantwortlich für die Dinge, die durch ihre Dienste erst passieren oder aber intensiviert werden. Konten und Nachrichten, öffentliche Postings und Bilder zu löschen dauert nicht nur lange, sondern ist eben auch ein langwieriger Prozess, der viel Zeit und Geduld und vor allem sehr viele Klicks auf den „melden“-Button benötigt. Auch hier stellt man sich die Frage: Darf sowas sein? Auch hier die gleiche Antwort: Nein.

 

Wenn die Betroffenen also permanent unter Mobbingattacken leiden und keinen Rückzugsort selbst im eigentlichen Rückzugsort (Elternhaus oder ähnliches) sehen, wie können sie sich dann erholen? Wie können Wunden heilen und wie können die Betroffenen aufrichtig nach vorne, in eine optimistische Zukunft sehen? Richtig. Gar nicht. Sowas funktioniert nicht.

Reden mit den Eltern, mit Angehörigen, mit Vertrauenspersonen fällt schwer. Und mit Lehrern reden? Das kommt nicht in den Sinn, denn erfahrungsgemäß verschlimmert sowas die Situation nur. Und das, obwohl Pädagogen für genau sowas ausgebildet werden.

 

Wenn Betroffene an solchen Punkten ankommen und weder Ruhe noch Erholung oder Ablenkung finden; wenn Betroffene nicht (mehr) reden oder sie sich nicht anvertrauen, dann sind sie in diesem Teufelskreis gefangen. Dann steht man auf, liest schlimmstenfalls negative Dinge über sich in den sozialen Netzwerken und geht ungewollt und mit Magenschmerzen zur Schule. Dort wartet das gleiche Martyrium wie jeden Tag. Hass, verletzende Worte, psychische Gewalt, schlimmstenfalls physische Gewalt. Man geht Heim, man liest in den sozialen Netzwerken. Man ist zu Hause, man liest noch immer. Man weint. Man schreit. Man schläft entkräftet ein. Und der nächste Tag beginnt. Teufelskreis.

 

Bei manchen Schicksalen ist hier eine Schnittstelle, weil Eltern aufmerksam werden oder ihre Kinder nicht mehr leiden sehen können. Die Kinder wechseln die Schule. Dort läuft es entweder besser oder genauso.

 

 

Doch leider sind das nur manche Schicksale. Die meisten Betroffenen bleiben in der gleichen Institution und die Dinge verschlimmern sich. Irgendwann ergraut die Welt und Opfer sehen keine Farben mehr. Die Lebensfreude schwindet, die Lust an Unternehmungen, die Motivation, sich aufzuraffen. Und dann fällt jeder ganz schnell. Selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken, Suizidversuch. Zwischen diesen drei Dingen gibt es nur wenig Halt, wenig Möglichkeit, die Menschen aufzuhalten oder eher festzuhalten. Wenn das erreicht ist, dann ist der Betroffene am Ende. Dann geht nichts mehr. Und viele Schicksale enden dann auch wirklich.

Aber das will man nicht hören. Das schweigt man gerne tot. Das bringt man keinen Kindern oder Jugendlichen früh bei, „weil das ja zu hart ist“ oder „nicht der Wahrheit entspricht“. Wenn Eltern ihrem Kind sowas oder Ähnliches versucht haben beizubringen, dann gibt es leider noch immer viele andere Faktoren, die sowas aus dem Gedächtnis wischen.

 

Und dann nehmen sich trotzdem jährlich im Schnitt 600 Jugendliche in Deutschland das Leben. 600 Seelen beenden ihr Schicksal aufgrund von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, denen es nicht beigebracht wurde oder die vergessen haben, dass Worte, Dinge, Verhaltensweisen wahnsinnig verletzend sein können. Es wurde nicht beigebracht oder vergessen, wie wichtig Akzeptanz gegenüber dem Individuum ist. Es wird noch immer nicht beigebracht. Und das stimmt mich sehr traurig.

 

Was man dagegen tun kann, sollte jeder von uns wissen. Das müsste ich eigentlich nicht mehr aufschreiben. Und dennoch möchte ich es. Sei es der Vollständigkeit wegen…

Wenn man solche Dinge bemerkt, dann sollte man als unabhängiger Dritter dazwischen gehen. Sowas ist wichtig. Und selbst, wenn es nur für einen Moment ist, aber so zeigt ihr dem Betroffenen, dass er nicht allein ist.

Prävention. Das beginnt im Kindesalter. Bestenfalls im Kindergarten. Das muss sein, das gehört dazu. Auch Kinder gehören aufgeklärt. Auch Kinder können mit Worten verletzen.

Aufklärung. Auch das sollte vor dem zehnten Lebensjahr beginnen. Was passiert eigentlich, wenn man Dinge sagt, die Menschen verletzen? Fragt man das einen Täter, dann bekommt man darauf nur eine spärliche, beschämte Antwort.

Empathie. Auch, wenn sie mittlerweile sehr rar geworden ist, aber was zeichnet Menschen aus? Das Mensch-sein? Und was bedeutet das? Menschlich sein, richtig. Betroffene kann man aus der Reserve locken. Man kann das Vertrauen gewinnen und wenn man das hat, dann wird man merken, dass diese Menschen sehr starken Redebedarf besitzen.

Pädagogisch-lehrende Institutionen sind ein Thema für sich, das wissen wir alle. Und dennoch ist auch hier wichtig, dass vor allem im Alter von Jugendlichen genau das oben-beschriebene Halt findet. Denn vor allem in diesen Altersgruppen wird es kritisch. In diesen Altersgruppen findet Mobbing sehr viel Halt. Und genau dann brauchen Betroffene viel und starke Rückendeckung und auch eine Hand, die sie halten können. Und das sollte sowohl für Pädagogen als auch für Mitschüler (o.Ä.) gelten. Denn vor allem in diesem Alter kann man auch mal in Kauf nehmen, dass man vielleicht ein wenig „uncooler“ ist. Dafür rettet man vielleicht ein Leben.

 

Lange Rede, kurzer Sinn: Nicht weggucken. Dazwischen gehen. Prävention. Aufklärung. Empathie. Halt geben. Da sein. Zuhören.

 

Mein Martyrium hat vor elf Jahren begonnen und endete nach neun Jahren.
Jetzt bin ich 22 Jahre alt und lese solche Mitteilungen mit einem sehr schmerzenden Herzen.

Man spürt den Schmerz immer. Er vergeht nicht. Man wird misstrauisch. Es kommt immer wieder. Es endet nicht. Es schwächt vielleicht ab, aber verheilen tun tiefe Narben nie.

 

Und dennoch ist es umso wichtiger, dass Betroffene, die Mobbing erfahren und überlebt haben, dafür einstehen. Denn sowas darf nicht passieren. In keinem Land. In keinem Alter. In keiner Gesellschaft.

 

 

Eure Phéa